In Memorian Abbe
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Abbe und die DDR
Wie alt ich war weiß ich nicht mehr. Ein riesiges Geländespiel war angesagt und ich war Pionier und hatte da mitzumachen. Ich war ein Blauer. Die Blauen waren die Verlierer. Die Roten mußten gewinnen. Mir war nicht wohl, und ich blickte wie zu oft nicht durch. Also ich sollte auf einen Krieg vorbereitet werden, das begriff ich. Ich haßte Krieg. In der Schule und zu Hause hatte ich erfahren, daß Krieg etwas sehr Schreckliches ist - und ein Stück davon hatte ich ja auch mitbekommen und den Hunger in der Zeit danach. Nun sollte ich das üben. Kriege machten die Kapitalisten, um andere Länder ausbeuten zu können. Aber wegen mir sollte das Spiel nicht scheitern. Wenn ich mich versteckte, würde es nicht einfach sein, mich zu besiegen. Und die Brennesseln auf der ehemaligen Müllhalde, dicht und sattgrün, die würden mich verbergen. Vier oder mehr Stunden verbarg ich mich und kein Roter besiegte mich. Dann muß ich das Kriegsende verpaßt haben, jedenfalls bin ich irgendwann nach Hause gegangen. Nesselfieber - hat der Arzt gesagt. Ich wurde mit essigsauere Tonerde gekühlt und nach drei Tagen ließ das Jucken und ließen die Schmerzen nach. Ich hatte mal Privilegien. Ich habe Rinderzüchter gelernt, das klang so romantisch und in Böhlen lernten alle Schlosser und Chemiefacharbeiter in dem großen Werk. Ich mit Blau Montour - die Vorstellung gefiel mir nicht. Und ich wollte von zu Hause weg. Als Kuhstall - Lehrling würde ich in einem Internat wohnen. So kam es dann auch. Ich hatte das Privileg, zu den älteren Lehrlingen zu gehören, weil ich die Schule 10 Jahre lang besucht hatte. Das war prima, weil ich hatte etwas mehr Chancen bei den Mädels und hatte dann auch tatsächlich eine Freundin aus dem zweiten Lehrjahr, und ich war im ersten Lehrjahr. Von Kuhstall hab ich im ersten Lehrjahr nicht viel gesehen, immer nur Feldarbeit, und im zweiten Lehrjahr hab ich mein Privileg voll ausgespielt, Jungs und Mädels Rinderzüchter, hab ich gesagt, das lassen wir uns nicht länger gefallen. Wir wollen unseren Beruf lernen und nicht immer Rüben ernten und Mist ausbreiten. Wir beschweren uns beim Kreis oder so. Und weil sie ja wußten daß ich einigermaßen schreiben konnte, schrieb ich und unterschrieb als erster und alle setzten ihren Wilhelm drunter. Paar Tage später hat mich der Direktor des Volkseigenen Gutes zu sich gerufen und an meinen geistigen Qualitäten stark gezweifelt. Paar Wochen später bin ich so ziemlich ans Ende der Welt versetzt worden, Endschütz heißt das Nest und hat so ungefähr 100 Einwohner. Aber da lernte ich dann meinem Beruf im Stall. Zwei oder drei andere Lehrlinge sind auch versetzt worden, aber nicht gerade ans Ende der Welt. Das war mein Privileg. ... so ein Quark Ich lag auf dem Sofa in der Küche, die beiden Großen waren auf mir herumgeklettert und ich hatte doch etwas geschlafen, ich mußte ja früh um 3 Uhr raus, um 6 kam das Milchauto und da mußten die Kannen auf der Rampe stehen. Nun dämmerte ich ein bißchen vor mich hin und meine Gedanken gingen spazieren. Irgendwie ist das nicht richtig, sagten sie, du rackerst hier und es macht dir auch Spaß, aber daß irgendwas besser wird in der LPG oder im Dorf, darauf hast du keinen Einfluß. Also der Stärkste - das ist die SED. Das ist die Führende. Dein Vater war drin, du warst Pionier und FDJ (Freie Deutsche Jugend), warum gehste da nicht rein. Dann kannste mitreden. Was verbessern helfen. Und bißchen aufpassen, daß keiner dir schadet oder so. Daß du nicht bloß ein Irgendwer bist. Daß du mitregierst. Also gehste da rein. - Sie mußten einen Riesenspaß haben, meine Beiden, sie johlten geradezu. Meine Augen öffneten sich, und am Fenster auf der Scheibe sah ich den Quark, schön breitgeschmiert, eine Quarkglasscheibe sozusagen. "So ein Quark!", schimpfte ich. Sie lachten und johlten:" So ein Quark, Papa!" Ich hab die Scheibe abgewischt und die Rufe meiner Kinder nicht auf meine Gedanken bezogen. Schwerter Das ist kein Witz: der Abbe mit seinen zwei linken Händen ist einer der Hausmeister im Klubhaus "Aktivist". Da hat er schon einen etwas kritischeren Blick und außerdem muß er dauernd den Vorplatz kehren. Und oben, da gucken sie am Fenster, ob der Abbe auch wirklich kehrt. Oder gucken sie, weil er sagt, sie machen was verkehrt? Der Abbe hat vier Monate lang keinen Parteibeitrag bezahlt. Er ist nicht scharf auf Parteiversammlungen, wirklich nicht, aber er besteht drauf, daß sie monatlich stattzufinden haben. Damit es denen oben am Fenster nicht zu gut geht und sie auch was zu tun haben. Das gehört zu ihrer Arbeit. Von unten jedoch sollte er lieber nicht mit imaginären Steinen werfen, der Abbe. Er ist zur Parteiversammlung eingeladen und weiß, nun machen sie dich fertig. Die Genossinnen und Genossen haben Zettel in den Händen, sie melden sich und verlesen den Text. Von Verurteilung und Abscheu und parteischädigendem Verhalten ist die Rede. Abbe hat keinen Zettel bekommen. Aber er kann inzwischen frei reden. Er haßt diese zugeteilten Zettel. Erst einmal verteidigt er sich ein bißchen und sie ducken sich, und weil der Abbe selten nur einen Fehler macht, erwähnt er den Slogan "Schwerter zu Pflugscharen". Der sei gut, meint er. Daß er, der Slogan, ideologisch belastet ist, muß dem Abbe wohl entfallen sein, er nimmt die Worte nur wörtlich und bemerkt das allgemeine Schweigen nicht. Sie haben keine Zettel mehr, was soll man sagen? Das verschieben sie, darüber wird nächstens zu zetteln sein, in der nächsten Versammlung. In der sind wieder ausreichend Zettel da und die erklären, daß der Klassenfeind und klassenfeindliche Gruppierungen dahier den Slogan mißbrauchen. Sie wollen unter anderem das Schwert schwach sehen, wo doch alle wüßten, die stillen Hüter des Staates seien Schild und Schwert der Nation, wie es im Lied von der Staats-Sicherheit heißt. Ein Held ist Abbe nicht, er kennt das Angstgefühl und das Schwitzen und das innere Zittern. Er gibt klein bei und sagt, daß er das so nicht gesehen habe. Und dann wundert er sich, daß sie ihn ganz ungeschoren davonkommen lassen (jedenfalls denkt er das). Nun bezahlt er auch wieder Beitrag. Und kehrt immer wieder den Vorplatz und die Straße. 9. oder 10. Klasse, muß also ungefähr 1957 gewesen sein. Fahnenappell. Alle angetreten. Melde Herr Direktor, Schüler der Oberschule angetreten (in FDJ Hemd - glaube ich). Dann wurde ein Schüler in die Mitte gestellt. Der war in Westberlin gewesen. Ob er da bei einer Organisation vorgesprochen hat, weiß ich nicht mehr. Solche Organisationen gab es, die sagten komm her DDR Bürger, erzähl uns was in deiner Stadt und in deiner Schule/Arbeitsstätte beschissen ist und wir schreiben das auf und du bekommst auch einen richtigen West Kaffee von uns. Und dann drucken wir ein Flugblatt und das schmeißen wir in der Zone runter. Vielleicht war der Schüler. der da vorne niedergekanzelt wurde, aber auch bloß mal in Berlin West kucken gegangen. Weiß ich nicht. Die Klassenkameraden sagten dann Sprüche auf, eben daß sie das Verhalten verurteilen und verabscheuen und soetwas. Und dann wurde der Schüler zum Nicht-mehr-Schüler erklärt und dann haben wir ein kämpferisches Lied gesungen und sind in unsere Klassenzimmer entlassen worden. Ich war der Boß vom Kuhstall. Als Boß besitzt man Durchsetzungsvermögen. Das hatte ich. "Weiber", hab ich gesagt, "hier wird nicht mehr geklaut!" Und dann habe ich streng auf die prallgefüllten Taschen an den Fahrradlenkern geguckt und die Frauen haben runtergeguckt auf den Betonboden, den haben wir immer sauber gehalten. "Also auskippen!", hab ich gesagt und sehr streng geguckt. Die Frauen haben meine Frau angeguckt. Die hat das Handtuch, das über dem geklauten Kraftfutter in ihrer Tasche lag, bißchen zurechtgezupft und dann hat sie mich angeblickt. Sie hat nicht geguckt, sie hat geblickt. Manche Männer kennen diesen Blick. Er ist die zweitgrößte Schweinerei seit Erfindung der Atombombe. Sehr viele Frauen beherrschen diesen Blick, denk ich mal. Er heißt Liebesentzug und löst einen seelischen und einen sexuellen Notstand beim betroffenen Gatten aus. Ich brauch nicht weitererzählen. Höchstens noch zur Ergänzung: als Taschen eigneten sich besonders die aus Förderband gefertigten mit extra dreifach vernähten Henkeln.Mit den Taschen fuhren die Frauen ins Dorf. Das hat dann Jedermann gesehen, auch der Boß von der LPG und der Feldbaubrigadier und der Viehzuchtbrigadier sowieso und der ehrenamtliche Parteisekretär nicht minder. Ach ja, der Volkspolizist, Abschnittsbevollmächtigter genannt, kann auch nicht soviel Tomaten auf den Augen gehabt haben, um das nicht zu realisieren. Mit dem Wissen, daß es alle wußten, hab ich mein mangelndes Durchsetzungsvermögen als nicht so gravierend empfunden. Die Schweine, die wir mit dem Kraftfutter gemästet haben, die brachten ganz schön Geld ein. Ja. der richtige Augenblick ... Also bei Hitler hieß das "Feindsender hören" und wurde im schlimmsten Fall mit dem Tode bestraft. So war das in der DDR nicht. Aber es gab immer mal Zeiten, wo die Genossen von ganz Oben nach ganz Unten durchgaben, daß es nicht günstig ist für die Bürger eines sozialistischen Staates, wenn sie WestFernsehen gucken. Ganz Unten war dann unser Bürgermeister, und der wollte sich bißchen hervortun und schrieb an den Rat des Kreises und an die SED- Kreisleitung (Ausführung/Macht war die Arbeitsteilung), unser Dorf sei sauber, was soviel heißen sollte als wie alle Fernsehantennen dahier hätten sich vom Westen abgewandt. Und weil das so noch nicht stimmte, schrieb der Bürgermeister ein Ukas, daß die Antennen gedreht werden müßten, ansonsten werde er handgreiflich. Wie es der Zufall so wollte war unser Bürgermeister von der Ausbildung her Dachdecker - und er wurde handgreiflich. Da hat mancher Fernsehgucker aber geguckt, wenn mitten in der Nacht auf einmal das West Bild verschwand. In der Ausbildung muß aber die nächtliche Dachbesteigung und deren Gefährlichkeit besonders für übereifrige Bürgermeister nicht ausführlich genug behandelt worden sein. Noch bevor er die endgültige Siegesmeldung verschicken konnte fiel er nächtens von einem Dach und auf eine Plakatwand "Westfernsehen lügt - laßt Euch nicht vom Klassenfeind verdummen! Drei Tage haben sich die Ärzte um ihn bemüht, dann trugen wir ihn zu Grabe. Nein, es befindet sich kein Hinweis auf die Aktion auf dem Grabstein, das wollten wir unserem Bürgermeister nun doch nicht antun. kaltes Wasser Er war in Watte gepackt, der Ring, vielleicht war er alt, und er glänzte. Der Abbe hat es nicht so mit Ringen. Aber naja. Und dann hat er sich die Hände gewaschen. Der Ring lief grau an. So ist es den DDR-Bürgern gegangen, sie waren in Watte gepackt. Du kannst nicht arbeitslos werden, du kannst immer kostenlos zum Arzt gehen, und Obdachlosigkeit, was ist das? Dir kann vom Schulanfang (oder davor schon) bis zur Rente und dem was dann kommt nix passieren. Dein Staat sorgt immer und allumfassend für dich. Als die Bürger dann die Watte gegen Bananen tauschten, sind sie im ungewohnten kalten Wasser auch ganz schön grau angelaufen. "Die großen Unternehmen werden enteignet." Ich konnte diese Maxime gut finden. Ich kannte keinen Unternehmer. Das waren Phantome. Und daß die IG Farben enteignet wurde, war gerecht, der Konzern hatte die Nazis unterstützt und KZ - Häftlinge und Fremdarbeiter sich zu Tode schuften lassen. Und das Produkt für die Gaskammern in den Konzentrationslagern stammte auch aus der IG Farben Produktion. Als ich das Privileg hatte, in Endschütz im Exil leben zu dürfen, hatte ich einen Kollegen. Der hat vergeblich versucht, mir Schach beizubringen. Der war auch Verbannter. Der hatte nach dem Westen abhauen wollen. Er war Schwiegersohn eines Unternehmers. Eine Fisch Konserven Fabrik oben an der Ostsee. Der Schwiegersohn hat mir erzählt, wie sein Schwiegervater sich geschunden hat, die Fabrik in Schuß zu halten und die Produktion zu sichern und den Mitarbeitern etwas zu bieten, damit sie nicht damit aufhörten, für einen Unternehmer zu arbeiten. Über Nacht ist der Unternehmer dann doch enteignet worden. Und vielleicht hatten die Grenzer sogar einen Wink bekommen, also wenn der mit seiner Familie in der Westen geht, laßt sie gehen. Und der Schwiegersohn hatte noch was zu erledigen gehabt und den richtigen Absprung Zeitpunkt verpaßt. Und Flucht aus der Republik war strafbar (warum hab ich das nie oder sehr spät hinterfragt?) Und er hatte eine Strafe abgessessen und nun arbeitete er in der Landwirtschaft. Nicht freiwillig. Und in vielen Gesprächen hat sich mein Bild vom Unternehmer allgemein etwas vom Staub der reinen marxistischen Lehre befreien können. Da waren auch die Einsatztrupps unterwegs, die Agitatoren, zu der Zeit, das waren Genossen, die die Einzelbauern dazu überzeugten, sich zusammenzuschließen in Landwirtschaftlichen Produktions Genossenschaften (die werden in evtl. folgenden Texten LPG genannt). Ein Teil der zu überzeugenden Einzelbauern hat es vorgezogen, die Republik ebenfalls zu verlassen. Fluchtartig. Und wenn ein Bauer sein Land verläßt, weiß er keinen anderen Ausweg, das wußte ich, denn ein Bauer verläßt sein Land nicht. Und Radio hatte ich ja auch. Da vertat ich mich gelegentlich bei der Senderwahl und erfuhr etwas über die Methoden der Agitatoren, die Einzelbauern zu überzeugen. Und mal fanden wir auch paar Flugblätter von in anderer Story beschriebenen Organisationen. Es hatten sich Bauern erhängt. Es waren Bauern im Gefängnis, weil sie sich nicht anders zu wehren gewußt hatten im Nervenkrieg, als mit der Mistgabel auf die Nervenzerreißer zuzugehen. fiktive Entgleisung eines Parteisekretärs Das Folgende soll sich in besagter nun Volkseigener Fisch Konserven Fabrik zugetragen haben: (es wurden anstelle des geflüchteten Unternehmers eingesetzt: 1 Direktor, 1 stellvertretender Direktor, 1 BGL Vorsitzender [Betriebs Gewerkschafts Leitung] 1 zusätzlicher Buchhalter [für die doppelte Buchführung - erstellen einer fiktiven positiven Bilanz] und 3 ReineMacheFrauen für den Direktionsbereich. Und 1 Parteisekretär. Es gab in der DDR keine Arbeitslosen!) Anläßlich eines Großen sozialistischen Feiertages trafen sich dann die führenden Genossen spätabends, sie tranken den original Abbe-Wodka (65%) und beratschlagten. "Ich möcht bloß mal wissen, wie der das gemacht hat!" "Der Kreis hat die finanzielle Stützung für ein weiteres halbes Jahr genehmigt." "Genossen, laß euch nicht ins Bockshorn jagen, Prost!" "Den Eisenbahnwaggon mit den verrosteten Dosen aus der SU, Genossen, was machen wir damit?" "Pst, aus der SU bekommen wir keine verrosteten Dosen, ist das klar, Genossen!" "Die Hächselmaschine ist schon wieder ausgefallen. Ein Werktätiger hat mir verraten, daß der Unternehmer die Ersatzmesser in Westberlin besorgt hat." "Die Messer aus Polen, na ja, ach Prost, Genossen, nasdarowje!" "Ich möcht wirklich mal wissen, wie dieser fiese Kapitalist das gemacht hat!" "Der hatte wirklich was offm Kasten!" "Na das will ich aber nicht gehört haben, Genosse Parteisekretär. Also wirklich! Prost, Genossen!" .. goldener Boden 1 "Handwerk hat goldenen Boden" heißt ein altes Sprichwort. Die Handwerker in der Welt, in der ich nun lebe, schütteln da den Kopf. Aber in der DDR - hach waren das Zeiten. Da hatte das Handwerk wirklich ... Also meine ES (250) (das war ein Motorrad) war kaputt, irgendwas, was ich nicht selber verschlimmbessern konnte. Ich brachte das gute gebrauchte Stück in die Werkstatt. Das ging. Aber dann mußte ich mit dem Meister sprechen. Und der sagte daß es ungefähr 3 bis 5 Wochen dauert. Wäre ich mit ihm verschwägert gewesen hätte es 2 Wochen gedauert. Hätte ich ihm 50 Mark in die Hand gedrückt, könnte ich die ES in 1 Woche abholen. Er druckste ein bißchen rum, sagte dann: "Es sei denn Sie haben Westgeld, da kriegen wir die Ersatzteile sofort her. Da ist das Ding übermorgen fertig."